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Völkerwanderung

Veröffentlicht am 11.10.2015

Die Angst vor dem Flüchtlingsansturm ist berechtigt aus "Die Welt" vom 10.10.2015

Fremdheit kann durchaus bereichern, aber nur, wenn sie in homöopathischen Dosen kommt. Doch der aktuelle Zuwanderungsdruck ist bei Weitem zu groß. Es wird ein böses Erwachen geben. Von Michael Stürmer

Völkerwanderungen gibt es, seitdem es Menschen gibt. Sie waren selten eine idyllische Angelegenheit, "commercium et connubium" – Handel und Heirat. Sehr viel öfter Kampf um Land und Herrschaft, Sprache und Recht. Für die gegenwärtig durch den gescheiterten "arabischen Frühling" ausgelösten Völkerwanderungen fehlt es an Vorbildern.

Sie sind für Europa als Ganzes, Deutschland im Besonderen ein unfreiwilliges Experiment in Social Engineering. Wenn es schlecht endet – in Angst und Ablehnung, Furcht und Schrecken –, dann gibt es kein Zurück.

Der innere Zusammenhalt der EU ist gefährdet, nicht nur in England. Schengenland ist abgebrannt, die deutsche Führungsrolle ähnelt unkontrollierter Flucht nach vorn. Das alles ist nur der Anfang. Die sozialen Medien beamen die schönen Versprechungen über die ganze Welt. "Mama Merkel" wird verehrt – allerdings in Deutschland mit abnehmender Tendenz.

Gibt es Wegweiser der Vergangenheit? Da soll man sehr vorsichtig sein. Die Flüchtlinge von 1945 kamen aus Ostdeutschland nach Restdeutschland: Dass sie willkommen waren am neuen Ort, kann man nicht behaupten. Aber mit Rückendeckung der Besatzungsmächte konnten die Behörden 16 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge unterbringen.

Konrad Adenauer, erster Bundeskanzler und Pater Patriae, tat alles, um die Heimatvertriebenen für die CDU zu gewinnen, und die Sozialdemokraten taten es ihm nach. Das ging nicht über Nacht, und nicht auf Befehl. Es brauchte eine Katastrophe, eine Generation, ein Wirtschaftswunder (Marshallplan und D-Mark halfen) und eine gewaltige Anstrengung.

Irgendwann brachen die Wälle

Man rückte zusammen auf engstem Raum, aber man teilte dieselbe Sprache, ähnliche Erinnerungen, Sitten und Gebräuche, Traumata und offene Wunden, dazu über Jahrhunderte geübte Sozialdisziplin, Wertmaßstäbe und Mentalitäten und dazu die Fähigkeit, in Verschiedenheit zu leben. Nichts davon gilt für die Neuankömmlinge heute.

Die großen Völkerwanderungen, die das Römische Reich in immer neuen Wellen berannten und schließlich die Befestigungslinie des Limes rheinabwärts und mainaufwärts stürmten, waren von anderer Art.

Generation für Generation übernahmen sie zunächst die Kultur Roms. In der Spätzeit des Imperiums gab es Legionen und Soldatenkaiser germanischer Herkunft. Aber irgendwann brachen die Wälle, und es begann, was im Englischen die "dunklen Zeitalter" heißt: "the dark ages".

Straßen und Städte zerfielen, fremde Kulte forderten Tribut, nur das römische Recht blieb in Umrissen bestehen. Erst ein halbes Jahrtausend nach dem großen Barbarensturm, der ganz Rätien zertrümmerte – von der Salzach bis zum Bodensee –, brachte das Christentum der irischen Mönche im Westen und Süden eine neue Synthese hervor, Gesetzgebung, Landeskultur, Zivilisation.

Im Vergleich zu den Völkerwanderungen der Spätantike und denen im Zeitalter der Weltkriege war alles, was dazwischen lag, geringen Ranges. Nach der Pest des 14. Jahrhunderts und dem Dreißigjährigen Krieg des 17. Jahrhunderts wurden Siedler eingeladen von den Landesherren.

Hilft historische Erfahrung?

Handwerker und Bauern wurden gebraucht. Leeres Land stand umfassend zur Verteilung. Es waren, wie die Hugenotten, religiöse und finanzielle Eliten, die da kamen, immer und überall Glaubensgenossen, ob in London oder Amsterdam, ob in Kassel, Erlangen oder Berlin.

Was aber ist die historische Erfahrung wert? Viel und wenig zugleich. Vor allem erweist sie, dass die Menschen verschieden sind, dass sie ihre Verschiedenheit, ob groß oder klein, lieben und sie weder teilen noch abgeben wollen. Identität ist ein kostbares Gut und wird notfalls mit Klauen und Zähnen verteidigt.

Ein Wüstensohn ist nicht leicht einzusetzen, wo ein schwäbischer Facharbeiter fehlt oder ein sächsischer Uhrmacher. Es zeigt sich, dass Fremdheit in homöopathischen Dosen bereichert, als regellose Überwältigung aber zum Kampf ums Überleben führt.

Alle Armuts- und Wanderungspolitik, ob in vergangenen Jahrhunderten oder heute und morgen, folgte dem Gesetz, dass zu viel des Guten sich selbst zerstört, zu wenig aber auch. Das deutsche Sozialrecht, Hartz IV oder Mietrecht ist für eine Überflussgesellschaft gemacht, der die Menschen fehlen und die sich notfalls Missbräuche leisten kann.

Es kann nicht funktionieren für Menschen aus Kulturkreisen, wo Armut herrscht (Link: http://www.welt.de/147387687) , die Großfamilie über alles geht und das islamische Religionsgesetz Trumpf ist. Die Ansprüche, die es befriedigt, sind leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der deutsche Sozialkontrakt hält nicht unbegrenzte Belastung aus. Neid, Missgunst, Protest, Zorn und Zerstörung sind die kollektiven Kräfte, die sich dann ihre Ausdrucksformen suchen.

Parallelmilieus sind längst im Entstehen, No-go-Areas für die Polizei der Großstädte. Die Erfahrung lehrt auch, dass Zugang zur Sprache die erste Voraussetzung des friedlich-schiedlichen Zusammenlebens ist. Die rot-grüne Aversion, Existenz und Notwendigkeit einer deutschen "Leitkultur" (Friedrich Merz) anzuerkennen und deren ausgesprochene und unausgesprochene Voraussetzungen zu vermitteln, lässt nichts Gutes erwarten.

Die Vorstellungen der Experten funktionieren nicht

Es fehlt nicht an Lehren der Vergangenheit für die Zukunft. Religion, zuerst und vor allem, ist wichtig als kulturelle Kraft, als soziales Medium, als selbstverständlicher Verhaltenskodex auch dort, wo Kirche oder Synagoge oder vielleicht auch die Moschee nur noch Baudenkmäler sind. Die Vorstellung der Arbeitsmarktexperten, Sozialpolitiker und Arbeitsplaner, Menschen, woher auch immer, seien nach kurzer Anlernzeit austauschbar, ist Technokratie und funktioniert nicht (Link: http://www.welt.de/147404501) . Immer geht es um ein Generationenprojekt.

Fremdheit kann in der Tat bereichern, je nachdem, wie viel und wie schnell sie kommt. Es gibt da aber einen "tipping point", wenn die Angst den Willkommensgruß erstickt. Dieser Punkt aber ist immer nur im Nachhinein festzulegen, wenn es für Korrekturen längst zu spät ist.

Hunderttausende junger Männer von weither, viele traumatisiert, alle entwurzelt und, wenn sie im gelobten Land endlich ankommen, schwer enttäuscht, weil niemand ihre Hoffnungen erfüllen kann, sind nicht leicht zu integrieren: Je mehr von ihnen auf ihr vermeintliches und oft nicht tragfähiges Recht pochen, desto weniger Integration (Link: http://www.welt.de/147405477) .

Hat die Bundeskanzlerin, als sie die Willkommenskultur ausrief über den Erdkreis, den Cyberspace und das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen vergessen (Link: http://www.welt.de/147418240) ? Deutschland hat sich, was jeder deutsche Kanzler sorgsam vermied, auf einen Sonderweg begeben. Vielleicht kann Europa die Griechenland-Krise verkraften; hoffentlich den Brexit abwehren; die Völkerwanderungen unserer Zeit, wenn nicht eingedämmt, werden Europa trennen und teilen – von innen und außen.

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