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Frau Karambouri redet Klartext

Veröffentlicht am 09.10.2015

Eine junge Polizeibeamtin mit griechischen Wurzeln beklagt die Gewalt von Migranten gegen Polizisten – vor allem im Ruhrgebiet

Von Carsten Bergmann

Es braucht nur den kleinsten Anlass, den bloßen Anblick eines Polizeiwagens zum Beispiel, schon brechen die Aggressionen aus den jungen Männern heraus. „Scheiß Bulle“, das gehört dann noch zum Harmloseren, was Tania Kambouri und ihre Kollegen zu hören bekommen. Wenn sie dann jemanden kontrollieren wollen, gehen die Beamten schon ein großes Risiko ein. Allein im vergangenen Monat ist Kambouri zweimal im Dienst verletzt worden – von Einwanderern. „Schon Kleinigkeiten können eskalieren“, sagt sie. „Die Gefahr ist allgegenwärtig.“

Die Polizistin Tania Kambouri ist es leid, über solche Erfahrungen zu schweigen. Es war eine einfache Frage, die die heute 32-Jährige vor zwei Jahren bekannt machte: „Wie sieht die Zukunft in Deutschland aus, wenn straffällige Migranten sich weiterhin weigern, die Regeln in ihrem Gast- beziehungsweise Heimatland zu akzeptieren?“, schrieb sie in einem Leserbrief für die Zeitung der Polizeigewerkschaft. Der Brief machte Furore, weit über die Kollegenschaft hinaus – und heute legt Kambouri nach: „Notruf einer Polizistin“ ist der Untertitel ihres Buches, das heute erscheint.

Zwei Dinge sichern Kambouri besondere Aufmerksamkeit: Erstens ihre Arbeit, Tag für Tag ist sie auf den Straßen Bochums unterwegs – und ihre Herkunft: Tania Kambouri wurde 1983 als Tochter griechischer Eltern geboren, wuchs in Bochum-Hamme, einem typischen Viertel mit Bergbaucharme, auf. „Mir wurden die typischen Werte beigebracht; dass man pünktlich und höflich sein soll, ganz normales soziales Verhalten eben. Trotzdem haben wir unsere griechische Kultur erhalten.“ Sie steht für die große Mehrheit der Migranten, die ihren Weg in Deutschland gefunden haben, und eben genau deshalb nicht die Augen vor einer Minderheit verschließen will, die ganze Stadtteile terrorisiert. Doch das ist längst Alltag in manchen Teilen des Ruhrgebiets. Ihr Brandbrief macht sie zur Symbolfigur, die sie eigentlich nie sein wollte.

Ausgerechnet eine Migrantin spricht also das aus, was sich viele andere nicht trauen. Bochum, Duisburg, Gelsenkirchen, Dortmund, Essen – der Industriewandel in den früheren Bergbaumetropolen schreitet nur langsam voran, die Anzahl der Einwanderer ist hoch, Kulturen prallen aufeinander. Duisburg-Marxloh, das Viertel, das von drei Familienclans terrorisiert und zuletzt durch den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum bundesweiten Synonym für gescheiterte Integration stilisiert wurde, ist nur ein Beispiel von vielen – wenn auch ein extremes. Die Uniform der deutschen Polizei hat hier nur noch geringen Wert, Polizisten warnen schon vor rechtsfreien Zonen. Die Gesetze der alten, zumeist muslimischen Heimat konkurrieren mit den neuen, den hiesigen – und siegen nach ihrer Beobachtung viel zu oft. „In allen großen deutschen Städten, in denen viele Migranten leben, gibt es diese Probleme“, sagt Kambouri. „Im Ruhrgebiet gilt das ganz besonders.“

Die Angst begleitet nicht nur Polizisten. Wenige Kilometer weiter auf der A 40 liegt Herten, einst Europas größte Bergbaustadt. Heute bestimmen verriegelte Geschäftsräume, Ein-Euro-Shops und Handyläden das Bild der Innenstadt. Auf dem Platz vor dem letzten großen Einkaufszentrum, in Sichtweite des Rathauses, versammeln sich allabendlich Gruppen von Mi­granten. Regelmäßig patrouilliert die Polizei – und doch gilt dieser Platz als beliebter Treffpunkt für Drogenhändler, häufig kommt es zu Prügeleien. „Wir trauen uns abends schon gar nicht mehr auf die Straße“, sagt ein älterer Hertener, der sein ganzes Leben in der 60 000-Einwohner-Stadt verbracht hat. „Das war früher nicht so. Wir haben Angst.“

Das sind Sätze, die auch Tania Kambouri in Bochum täglich hört. „Das Unsicherheitsgefühl wächst. Erst vergangene Woche habe ich mit einer Frau gesprochen, deren Pkw zum dritten Mal aufgebrochen worden war. Sie fühlt sich in diesem Land nicht mehr sicher.“ Wer dies ausspricht, gerate jedoch schnell unter Rechtsextremismusverdacht – auch die junge Polizistin, die diese Hetzvorwürfe jedoch deutlich von sich weist. „Man will versuchen, mir diesen Schuh anzuziehen, und das Thema lächerlich machen. Das lasse ich mir aber nicht gefallen.“ Sie will genau das Gegenteil erreichen: dass die Bevölkerung nicht noch rassistischer wird. Eben deshalb dürfe man die Realität nicht verschweigen, müsse das Tabu brechen und Lösungen anbieten.

Ihre Klage zeigt Wirkung. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) bekam bei einer Podiumsdiskussion die ganze Frustration der Polizistin ab. „Wir haben in der Politik und der Justiz keinen Rückhalt mehr“, hielt sie ihm entgegen. Ihr Fall war schon Thema im Landtag, sogar Bundesinnenminister Thomas de Maizière zitiert bei Reden aus dem Leserbrief der Streifenbeamtin. 80 Prozent aller Polizisten, so zeigen es aktuelle Studien, sind bereits im Dienst angegriffen worden. „Das ist zu viel. Hier muss mehr getan werden. Wir wollen Einsatzkräfte vor Gewalt schützen“, kündigte Jäger entschlossen an. Allein der Glaube der Beamtin an die Worte des obersten NRW-Dienstherrn fehlt: „Ich halte meine Knochen für diesen Staat hin, aber niemand unterstützt die Polizei – das ist frustrierend.“

Viele Kollegen melden Übergriffe schon gar nicht mehr, Vorgesetzte winken mit den Worten „Das bringt doch sowieso nichts“ resigniert ab. Auch die 32-Jährige, die schon oft vor Gericht als Zeugin mit ansehen musste, wie Täter ungeschoren davonkamen und sie beim Hinausgehen noch auslachten, überkommen massive Zweifel. „Ich denke, viele Richter wissen nicht, was draußen auf der Straße wirklich passiert. Die meisten kommen aus einem gut behüteten Haus, gehen studieren und sitzen dann auf der Bank und urteilen.“

Doch Kambouri will nicht tatenlos mit ansehen, wie der Bruch in der Gesellschaft noch tiefer wird, die Angst der Bevölkerung vor kriminellen Einwanderern weiter wächst. Sie will „frei Schnauze“ wachrütteln, zumal sie befürchtet, dass sich durch den enormen Flüchtlingszustrom die Lage noch einmal dramatisch zuspitzen wird. Die Menschen, die nun nach Deutschland kämen, „müssen unsere Werte lernen und sich daran halten. Aber selbst Migranten, die hier geboren wurden, halten sich nicht daran.“

Was bleibt also? Resignation? Sich abfinden mit Aggression und Parallelgesellschaften? Tania Kambouri ist überzeugt, dass dieses heikle Thema viele Bürger belastet – hofft dennoch, dass sich mehr Menschen gegen diese Entwicklung stellen, allen voran die Politik. Sie selbst will nicht aufgeben, weder als Rednerin noch als Polizistin. Sie liebe ihren Beruf. Und: „Wir haben ja nicht den ganzen Tag nur mit Bekloppten zu tun. Man tut für einige wirklich etwas Gutes, das Positive überwiegt also. Noch.“

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